Die Lehren der Geschichte und das Zukunftsbild: Nachdenken über die Außenpolitik Russlands

15:25 25.04.2023 • Alexej Drobinin , Direktor des Departements für außenpolitische Planung des Außenministeriums Russlands

Es hat sich nun so ergeben, dass Russland wieder den Wendepunkt in seiner mehr als tausendjährigen Geschichte erlebt. Man hat mit der aggressiven Reaktion einiger außenpolitischen Akteure auf die absolut begründeten Handlungen zur Verteidigung der Lebensinteressen auf der westlichen Linie zu tun. Dabei entstand die von Menschenhand erzeugte Krise der europäischen Sicherheit und der gesamten internationalen Ordnung, die nach den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges gebaut wurde.

Obwohl bei uns schon einige Generationen groß geworden sind, die in relativ friedlichen Zeiten formiert wurden, ist die Konfliktsituation eher eine Norm für das Land mit solcher Geografie und solchen Interessen wie Russland. Russische Experten führen verschiedene historische Analogien an. Einige vergleichen die heutige Etappe mit der Epoche von Alexei Michailowitsch des Sanftmütigsten, als der Moskauer Staat westrussische Gebiete Schritt für Schritt zurückerobert hatte. Andere sehen darin die Ähnlichkeit mit dem Krim-Krieg, als Russland auf den „nie dagewesenen Hass des Westens gestoßen war“.1 Die Dritten berufen sich auf die Erfahrungen der „Bändigung“ der imperialen Ambitionen Schwedens nach Poltawa, Frankreichs nach Borodino, Deutschlands nach Stalingrad und Berlin, was „zum eigenen Wohl und zum Wohl der ganzen Menschheit“2 war. Manche vergleichen die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen mit dem Kalten Krieg der 1940-1980er Jahre.3 Einige meinen, dass das Ausmaß heutiger Veränderungen die tektonische Verschiebung der 1989-1991er Jahre übertrifft, „als das Kräfteverhältnis grundlegend verändert wurde, die Grundsätze der internationalen Politik und die Verhaltensregeln haben sich aber grundlegend nicht verändert“.4

Solche Parallelen, seien sie auch sehr relativ bedingt, haben eine gemeinsame Eigenschaft – sie betonen die epochale Bedeutung heutiger Entwicklungen. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die spezielle Militäroperation zum Meilenstein auf dem Wege zur neuen Weltordnung, zum neuen Kräfteverhältnis auf der internationalen Bühne wurde. Die Konstellation wird von dem Verlauf der Kriegshandlungen, von den Veränderungen in der Struktur der Weltwirtschaft und den Parametern der politischen Beilegung des Konflikts in vieler Hinsicht abhängig sein. Einmal wird sich dieses Puzzle zusammenfügen. Bis jetzt aber hat das Schicksal selbst Russland in die Situation eines der wichtigsten Schöpfer der Weltgeschichte versetzt.

 

Sich mit dem historischen Schaffen zu befassen, heißt unter anderem die bestehenden Realitäten deutlich zu sehen und zu verstehen. Wenn sich vieles ändert und bei Weitem nicht alles verständlich ist, gibt es die Versuchung, simple Konsequenzen zu ziehen (etwa wie „die Welt wird nie mehr wie früher sein“). Derartige Schlüsse setzen sich leicht im Bewusstsein nieder, geben aber dem Verstand kaum etwas. Um die Entwicklungen besser verstehen zu können, ist es sinnvoll die langfristigen Tendenzen der internationalen Entwicklung vor Augen zu halten. Jene, die sich längst vor dem Beginn der speziellen Militäroperation formiert hatten und lithosphärische Platten der Geschichte nach ihrer Beendigung verschieben werden.

Um welche Tendenzen geht es?

Es ist logisch, mit dem besonders schicksalsträchtigen Prozess – mit der Formierung der multipolaren Weltordnung anzufangen. Eben darin besteht der Wesenskern der Veränderungen im internationalen System. Wie der Präsident W.W.Putin festgestellt hat, geht es um den „Übergang von dem liberal-globalistischen amerikanischen Egozentrismus zur wirklich multipolaren Welt, die auf der wahren Souveränität der Völker und Zivilisationen beruht.5 Es ist zu ergänzen, dass dieser Übergang nach der allgemein gültigen Einschätzung kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion und der sozialistischen Gemeinschaft begann und das Ende der bipolaren Ordnung kennzeichnete, die auf der sowjetisch-amerikanischen Kräftebilanz und auf dem nach dem nach dem historischen Maßstab kurzen „unipolaren Moment“ Anfang der 1990er aufbaute, als ein nicht vorandenkender Politologe das „Ende der Geschichte“ verkündet hat.

Wie es schon mehrmals der Fall war, hat der Weg zum neuen Kräftegleichgewicht den schleppenden und nicht linearen Charakter. Russland und andere führende Staaten müssen ihn durchmachen, allerdings kann es viele Jahre in Anspruch nehmen. Objektive Fakten und Erscheinungen, die von jemands Wünschen unabhängig sind, weisen darauf hin, dass die Stabilität der heutigen Welt durch die Abstimmung der Interessen einiger systemrelevanten Zentren der Wirtschaftsmacht und des politischen Einflusses gesichert wird. Wer „Anteilseigner“ des multipolaren Systems und wie viele es sein werden, wird die Zeit zeigen.

Analytisch produktiv und politisch begründet scheint uns der zivilisatorische Ansatz zu sein. Laut dieser Logik werden die Akteure des globalen Niveaus politisch konsolidierte Zivilisationsgemeinschaften mit einem führenden Staat an der Spitze sein. Beispielsweise Russland und die eurasische Gemeinschaft, China und ostasiatische Gemeinschaft, USA und angelsächsische Sphäre sowie indische, arabisch-muslimische, kontinentaleuropäische u.a.

Wie die Struktur der künftigen Weltordnung auch sein mag, entfaltet sich bereits heute die Rivalität um das Recht, eigene Basisgrundsätze festzulegen, das, was man in der normalen Sprache als Verhaltensnormen bezeichnen kann. Konkurrenzvorteile besitzen in diesem Wettbewerb, der mehrere Aspekte hat, starke, technologisch entwickelte Staaten, die in der Lage sind, nicht nur die Militärstärke, sondern auch geistige, moralische Werte nach außen zu projizieren. Wie es S.V. Lawrow betonte, „geht es um die Staaten mit der gut organisierten Zentralgewalt, die verantwortungsbewusst und handlungsfähig ist und in der Lage ist, auf die Naturkatastrophen und sonstige Kataklysmen maximal effizient aus der Sicht der Interessen und der Sicherheit eigener Bürger zu reagieren. China, Indien, RSA, Iran, Ägypten, Argentinien, Mexiko… mit dem wirtschaftlichen Gewicht kommt auch der politische Einfluss. Diesem kann man nicht umhin, Rechnung zu tragen“.6

BRICS verkörpert die multipolare Diplomatie, die auf der Weltbühne eine immer gewichtigere Rolle spielt. BRICS-Agenda ist auf die Lösung der für ihre Teilnehmer gemeinsamen Fragen der internationalen Entwicklung gerichtet. Es ist sinnvoll, sich die Perspektiven der MIKTA-Gruppe genauer anzuschauen, zu der solche Regionalmächte die Mexiko, Indonesien, Südkorea, die Türkei und Australien gehören, allerdings wird der reale Effekt ihrer Aktivitäten später eingeschätzt. G7 hat im Gegenteil durchaus vorhersehbar ihre Autorität als Generator der Lösungen für globale Probleme eingebüßt und wurde in ihrem Wesen zum Mechanismus Washingtons, um seine Satelliten in den Fragen zu disziplinieren, die für die USA das konjunkturbedingte Interesse darstellen.

Als Beschleuniger für den Werdegang des Polyzentrismus erscheint seit Mitte der 2000er Jahre die Krise der Globalisierung, die der Dominanz der USA im Bereich der Währung, der Finanzen, der Technologie und der Kultur ein Ende gesetzt hat. Während des Einbruchs des Weltpapiermarktes 2008-2009 wurde der amerikanische „Kern“ des globalen kapitalistischen Systems durch den dermaßen mächtigen Schlag getroffen, dass es sich bis heute nicht erholt hat. Indessen verschiebt sich der Fokus der wirtschaftlichen Aktivitäten in die asiatisch-pazifische Region und China profiliert sich mit Riesenschritten als führende Wirtschaftsmacht. Nach den Angaben der Weltbank hat China bereits 2017 Washington nach dem Umfang des Bruttoinlandsprodukts (berechnet nach der Kaufkraftparität), und bereits früher 2010 nach dem Tempo der Industrieproduktion überholt. Eigentlich ist das Bruttoinlandsprodukt kein besonders ausschlaggebender Indikator des wirtschaftlichen Zustandes: mit seinen Territorien, Naturressourcen (Weltbank bewertet sie in der Höhe 75 Bill. USD und auch mehr), nach dem akkumulierten materialtechnischen Reichtum steht Russland keinem anderen Staat nach (zugleich rangiert der IWF unser Land nur auf den 11. Platz nach dem nominalen BIP). Zugleich muss man auch betonen, dass manche russische Experten in der Welt der Zukunft „den Zerfall des globalen Wirtschaftssystems in einige große Makroregionen“ prognostizieren,7 andere sprechen über die Entstehung der zwei oder auch mehr technoökonomischen Blöcke – „große Marktbatzen“, die die „Währungszone, Ressourcenauswahl, Entwicklungsphilosophie, Auswahl der Basistechnologien beinhalten“8 – die untereinander konkurrieren werden.

Von der Multipolarität und der Entglobalisierung werden alle gewinnen, falls niemand den normalen Verlauf der objektiven Prozesse hindern wird. Entscheidende Bedeutung hat dabei das Verhalten der regierenden Kreise Nordamerikas und Westeuropas. Wenn sie das menschlich verständliche Empfinden, dass sie die Macht über die Welt verlieren, nicht bändigen werden und jedes Mal „zu Сolt greifen“, wo geduldige Diplomatie gefragt wird, dann wird auch die besorgniserregende Tendenz weiter bestehen, die die Bedeutung des Faktors der Stärke in internationalen Angelegenheiten erhöht. Westlicher Hochmut wird von der jahrzehntelangen (wenn auch nicht jahrhundertelangen) Straflosigkeit und der uneingeschränkten Macht genährt. Wodurch ist das Abenteurergeist amerikanischer Präsidenten, die sich angewöhnt haben, die Staaten, die dutzende tausend Kilometer von den USA entfernt liegen, zur Bedrohung für nationale Sicherheit des Landes zu erklären? Das Ergebnis der Militärinterventionen (beispielsweise in Jugoslawien, Irak, Libyen, Afghanistan) war die Destabilisierung ganzer Regionen.

In der Situation der realen Multipolarität löst die Fragestellung über die Militärkontrolle der entfernten Territorien, ohne schon über die gewaltsame Invasion zu sprechen, um andere Machtzentren abzuschrecken, aktive Ablehnung und Widerstand aus. Die Risiken der unkalkulierbaren Folgen der bewaffneten Aktionen mehren sich dadurch, dass sich die Natur der Politik der Stärke selbst ändert, die Grenze zwischen den militärischen und nichtmilitärischen Mitteln ihrer Durchführung wird verwischt. Die Zerrüttung der Bilanz auf der globalen Ebene verdoppelt die Bereitschaft regionaler Akteure, ihre Interessen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu realisieren, mitunter mit recht opportunistischen. Auf Initiative der USA werden die Mechanismen der Rüstungskontrolle und der Erhaltung der strategischen Stabilität, die mit Mühen mehrerer Generationen der Verhandlungsteilnehmer aufgebaut wurden, abgebaut. Auf der doktrinären Ebene haben die Amerikaner die Schwelle des Atomwaffeneinsatzes herabgesetzt. Diese und andere besorgniserregenden Momente bringen besonders gefährliche Szenarien der Konfrontation zwischen den Nuklearmächten, die katastrophale Folgen haben können, wieder ins Blickfeld der Kriegsplaner.

Als Triebkraft der tiefgreifenden, schwer kalkulierbaren Transformationen im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Weltbild erscheint die nächste wissenschaftlich-technische Revolution. Die in Entstehung begriffene technologische Ordnung basiert auf den perfektionierten Informations- und Kommunikationstechnologien, energetischen, biomedizinischen und Nanotechnologien, auf den Elementen der künstlichen Intelligenz. Die technologische Souveränität ist die strategische Aufgabe für jeden ernsthaften Staat, der in der heutigen Epoche der Hochkonkurrenz die selbstständige Rolle beansprucht. Die Festlegung der ethischen Normen für den Einsatz der neuen Technologien, die Entwicklung der Regeln für das verantwortungsbewusste Vorgehen der Staaten, die Anpassung der Verwaltungsstrukturen im Bereich der Informationssicherheit, des Gesundheitswesens, des Umweltschutzes und des Klimas werden zu den langandauernden Themen der diplomatischen Agenda.

Die Verschiebung des äußeren Kräftegleichgewichts, die Erhöhung der Konfliktträchtigkeit des internationalen Umfelds veranlassen die Staaten, innere Reserven aufzudecken, auf das Fundament eigener Geschichte und Kultur zu greifen. Gegenteilich dazu wirkt darauf das Voranbringen der neoliberalen Werteagenda durch die globalistische Klasse hin (Menschenrechte, Gender, „Legalise“, Bioethos, Transhumanismus usw.). Als natürliche menschliche Reaktion auf derartige dekadente Erscheinungen wächst unentwegt der Einfluss des kulturell-zivilisatorischen Faktors. Die neue Realität findet in der ukrainischen Krise ihr genaues Spiegelbild: mit einigen wenigen Ausnahmen nehmen die Vertreter aller zivilisatorischen Gemeinschaften in Ost und Süd, arabisch-muslimische Welt, afrikanische und lateinamerikanische Zivilisation, ASEAN-Gemeinschaft inklusive, die antirussische Sanktionskampagne der westlichen Minderheit als Rückfall in die neokoloniale Denkweise wahr. Das Durchdenken globaler Trends, deren Teil auch unser Land ist, hilft die Richtungen für den Einsatz der außenpolitischen Bemühungen festlegen. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass die Diplomatie eines solchen Staates wie es Russland ist, nicht umhinkann, kontinuierlich zu sein. Wie für einen mächtigen Ozeankreuzer sind ihm drastische Wendungen nicht innewohnend und kontraindiziert.

 

Die konzeptuelle Basis der Außenpolitik der Russischen Föderation entwickelte sich etappenweise, der Denkprozess hörte nie auf. Spezifische Meilensteine auf diesem recht langen Wege sind die von der Landesführung beschlossenen strategischen Dokumente 1993, 2000, 2008, 2013 und 2016.

Trotz des verbreiteten Irrtums sind viele ideologische Konstruktionen, die der russischen diplomatischen Schule heute innewohnend sind, gar nicht in den letzten Jahren und Monaten entstanden. Das intuitiv richtige Verständnis der nationalen Interessen war immer präsent, auch in den naiven, romantischen 1990er Jahren mit ihrem kritiklosen Verzicht auf das sowjetische Erbe in allen Formen, darunter auch auf die einmaligen Erfahrungen der Steuerung der Konfrontation zwischen den Mächten und der praktischen Erkenntnisse der Kooperation mit der Entwicklungswelt.

Es reicht nur zu sagen, dass bereits in den „Grundsätzen des Konzepts der Außenpolitik der Russischen Föderation1993 die These formuliert wird, dass die Beziehungen in der postbipolaren Epoche auf den Prinzipien des Polyzentrismus aufbauen müssen. Damals wurde auch die besondere Wichtigkeit der russischen Interessen im nächsten geopolitischen Umfeld festgestellt – durch das Prisma der „Verhinderung der Prozesse der Desintegration auf dem Gebiet der Ex-UdSSR“. Neben der anspruchsvollen Aufgabe, die Beziehungen mit Washington auf die Ebene der strategischen Partnerschaft zu bringen, wurde auch das Ziel gestellt, den USA-Versuchen Widerstand zu leisten, zu einer einzigen Supermacht zu werden. Das letztere ist der weltanschauliche Moment, der auf die Ablehnung des autoritären, hegemonistischen Systems der internationalen Beziehungen hinweist, das sich in den folgenden Jahren nur stärker wurde.

Die Tendenz der USA-Dominanz in der Wirtschaft und Gewalt wurde im Konzept der Außenpolitik festgehalten, das der Präsident W.W. Putin 2000 beschlossen hat, als unakzeptable Entwicklung. Deshalb wurde als erstrangige Aufgabe der russischen Diplomatie die Demokratisierung der internationalen Beziehungen, die Bildung des UNO-zentrischen Modells, das auf den Mechanismen der Kollegialität und der Oberhand des Völkerrechtes aufbaut, formuliert. Als eine der Säulen der globalen Stabilität wird weitsichtig die Kooperation Russland-China bezeichnet. Somit wurde der systembezogene Vorrat für die Zukunft der russisch-chinesischen Beziehungen der allumfassenden Partnerschaft und strategischen Zusammenarbeit gemacht.

In der aktualisierten Fassung des Konzepts, das der Präsident D.A. Medwedew 2008 beschlossen hat, wird Russland zum ersten Mal große eurasische Macht genannt und die Wichtigkeit der ideologisch-weltanschaulichen und zivilisatorischen Aspekte der internationalen Konkurrenz hervorgehoben. Dabei wurde der langfristige Trend festgestellt, der in den folgenden Jahren im vollen Maße entfaltet wurde: der Westen hat Führungspositionen und die Stellung des wichtigsten Empfängers der Globalisierung eingebüßt und daher den Kurs auf die Abschreckung Russlands eingeschlagen. Unser Land hat Konfrontation nicht gesucht: im Dokument wurde die These verankert, dass die gleichberechtigte Kooperation im „Dreieck“ Russland-EU-USA zur Festigung der Stabilität der Euro-Atlantischen Region beitragen würde.

Fünf Jahre später wurde in der Fassung des Konzepts 2013 die Aufgabe gravierend beschrieben, die Entwicklung der nationalen Wirtschaft und ihre Überführung in die innovativen Bahnen zu fördern. Dabei wurde die Notwendigkeit hervorgehoben, die Mechanismen für die Formierung des positiven Russlandbildes, seiner Innen- und Außenpolitik in der internationalen öffentlichen Meinung umfassend zu nutzen.

Das geltende Konzept, das von dem Präsidenten W.W. Putin 2016 beschlossen wurde, hält die bewährten Grundsätze der Außenpolitik fest: Selbstständigkeit, mehrere Richtungen des Vorgehens, Pragmatismus, Transparenz, Streben, alle Probleme mit politisch-diplomatischen Mitteln unter Einhaltung des Völkerrechtes zu lösen. Das Dokument wurde unter der Einwirkung ernsthafter Veränderungen in den internationalen Beziehungen im Kontext der ukrainischen Krise 2014-2015 und politischer Umbrüche im Nahen Osten und in Ostafrika formiert. Es wird festgestellt, dass der Weg zur multipolaren Weltordnung nicht konfliktfrei verläuft und mit der Zuspitzung der globalen und regionalen Widersprüche, der zwischenstaatlichen Konkurrenz, der steigenden Rolle des Stärkefaktors in der Weltpolitik einhergeht.

Der Gedanke, dass das Streben des Westens, seine Positionen zu behalten und das durch die Eindämmung der alternativen Machtzentren zu realisieren, einschließlich mehrerer Aspekte des Drucks der USA, der NATO und der Europäischen Union auf unser Land, erfährt dort seine Weiterentwicklung. Nichtsdestotrotz wurde die Ausrichtung Russlands auf die Gestaltung des gemeinsamen Friedens-, Sicherheits- und Stabilitätsraums in dem Euroatlantik, auf den Aufbau pragmatischer gegenseitig vorteilhaften Beziehungen mit den USA, die die besondere Verantwortung beider Staaten für die globale strategische Stabilität und die internationale Sicherheit ein weiteres Mal bestätigt. Das wichtigste Novum: die Neuausrichtung der Prioritäten im eurasischen Raum unter Beachtung der Bildung EAWG und mit der Ausrichtung auf offene Wirtschaftspartnerschaft auf seiner Basis, die auch die Staaten der SCO und ASEAN umfasst. Im positiven Sinne wird die Mitwirkung Russlands in solchen multilateralen Formaten wie G20, BRICS und RIC betont.

So sind im Großen und Ganzen die wichtigsten Elemente des ideologischen Kapitals, über das wir verfügen, so sieht der virtuelle Ausgangspunkt für die weitere Arbeit an der Entwicklung des konzeptuellen Rahmens der russischen Außenpolitik in der neuen Situation.

 

Multidimensionaler Prozess der Entwicklung der Neufassung des Konzepts der Außenpolitik wurde unter Einbeziehung der interessierten Behörden und der Expertengemeinschaft bereits 2021 eingeleitet. Die wichtigsten Konturen des Dokuments wurden im Januar dieses Jahres auf der operativen Sitzung des Sicherheitsrates Russlands behandelt. Sie werden unter Beachtung der Entwicklung der internationalen Situation nachgearbeitet. An dieser Stelle möchte ich auf einige Schlüsselaspekte unserer Analyse eingehen.

Egal wie lange die spezielle Militäroperation dauern und wie ihr Ausgang sein wird, kann man feststellen, dass die 30jährige Epoche der im Großen und Ganzen konstruktiven, wenn auch nicht problemfreien Kooperation mit dem Westen unwiderruflich beendet wurde. Die heutige Situation gibt die einmalige Möglichkeit, die Überbleibsel der Illusionen endgültig loszuwerden und den Rahmen des Paradigmas der „freundlichen Übernahme“ zu überschreiten, das westliche Kolleginnen und Kollegen immer wieder nach 1992 reproduziert hatten. Es ist klar, dass es in den Beziehungen mit den Staaten Nordamerikas und Europas die Rückkehr zur Situation vor dem 24. Februar nicht geben wird.

Nebenbei gesagt gibt es in der westlichen Antipathie uns gegenüber nichts Neues. Bereits während des Krim-Krieges (1854-1856) hat der englische Dichter Lord A. Tennyson gesagt, dass er Russen und Russland hasst. Der deutsche Kaiser Wilhelm (1888-1918) hat in seinen Memoiren geschrieben: „Ich kann mit mir nichts machen. Ich weiß, dass es nicht christlich ist, aber ich hasse Slawen“.“9 Das heißt, Russenfeindlichkeit ist nicht etwas Marginales. Das ist das Virus, das im Bewusstsein der intellektuellen und politischen Elite tief sitzt.

Einige inländische Experten räsonieren darüber, dass das heutige Zerwürfnis um die Ukraine in der ganzen historischen Epoche der Annäherung Russlands und Europas den Punkt setzt, die Peter 1. eingeleitet hat, und dass „wir heute die „petergefärbte“ Seite unserer Geschichte“10 hinter uns lassen. Man kann dieser These auch zustimmen, jedoch nur teilweise. Ich würde über die Abkapselung Moskaus gegenüber dem Westen vor Peter I. nicht sprechen. Es gibt Unmenge der Argumente dagegen – von der außenpolitischen und kulturellen Zusammenarbeit zwischen dem Großen Nowgorod und den Hansastädten, von der Eheschließung zwischen Iwan III. und Sophia Palaiologa, bis zur offensiven Politik Iwan IV. in der westlichen Richtung. Es wäre eher sinnvoll, darüber zu sprechen, dass Peter I. ins Selbstbewusstsein der regierenden Schicht in Russland den „Westgeist“ eingebracht hat und dadurch den Vorrat für ihre weltanschauliche Lostrennung von den Volksmassen geschaffen hat.

Politologen betonen richtig, dass „russische Eliten seit Peter I. auf den Westen hin schauten, westliche Mode und westliche Verhaltensweisen übernahmen, westliche Institute gründeten, westliche Philosophien übernahmen, strebten an, den europäischen Großmächten beizutreten; später, in der sowjetischen Epoche wollten sie globale Supermacht werden, in der späteren Periode – zur Schlüsselkomponente Großeuropas von Lissabon bis Wladiwostok. Das ist die Bahn, aus der auszutreten, schwer ist“.11 Es stimmt, dass das irrationale Gleichenzeichen zwischen dem „westlichen“ und „progressiven“, „westlichen“ und „attraktiven“, das sich seit den damaligen Zeiten festgesetzt hat, in verschiedenen Etappen der Geschichte unseres Landes im größeren oder geringeren Maße die Entwicklungsrichtungen in der Innen- und Außenpolitik bestimmt hat. Dieser Ansatz ist nicht mehr aktuell. Wir haben uns verändert und die Welt auch.

Russland ist in die akute Phase der Konfrontation mit der aggressiven Allianz der unfreundlichen Staaten mit den USA an der Spitze eingetreten. Das Ziel unseres Gegners ist, unserem Land strategische Niederlage beizubringen und es als geopolitischen Konkurrenten zu beseitigen. Man muss verstehen, dass wir in Person des russenfeindlich gestimmten kollektiven Westens trotz der unumkehrbaren Schwächung seiner gesamten Stärke immer noch einen starken Rivalen haben, der über das fortschrittliche wissenschaftlich-technisches Potenzial verfügt und einen wesentlichen Teil globaler Märkte, Finanzressourcen, logistischer Ketten und Informationsströme kontrolliert.

Für manche von uns wurde diese Wendung zu einer unangenehmen Überraschung und das ist auch verständlich. Strategie der Konvergenz, des „Einbaus“, des Dialogs und der gemeinsamen Räume nahmen mehrere Jahre lang einen wesentlichen Platz in der Planung ein. In der „Stunde X“ hat es sich erwiesen, dass der feindliche NATO-Block die Territorien erschließt, die an die lebenswichtigen Regionen des Zentralrusslands (Baltikum, Ukraine) nahe liegen und die europäische Union ihren neokolonialen Einfluss auf das gesamte Osteuropa, Transkaukasien und Zentralasien ungeachtet der dort bestehenden Integrationsvereinigungen (EAWG und GUS) ausdehnt. Es ist klar, dass diese Realität das Ergebnis des arroganten Ignorierens der ehrlichen Versuche Russlands ist, die Regeln der Koexistenz mit dem Westen zu vereinbaren, und damit darf man sich weiter nicht abfinden.

Selbstverständlich entspricht die konstruktive Zusammenarbeit mit allen Nachbaren den russischen Interessen, darunter auch in dem Euroatlantik. Dieses Ziel muss man anstreben. Aber nicht um den Preis der einseitigen Zugeständnisse, umso mehr der Zugeständnisse an jene, die Russland zur wichtigsten Bedrohung offen erklären. Darum geht es im strategischen NATO-Konzept, das auf dem Gipfeltreffen in Madrid Ende Juni 2022 verabschiedet wurde. In dieser Situation ist die Zusammenarbeit mit den unfreundlichen Staaten nur auf der einmaligen Grundlage der Transaktionen möglich, sie kann nur dort realisiert werden, wo es für Russland vorteilhaft ist und wo es keine akzeptable Alternative gibt.

Das Argument, dass das Zerwürfnis mit Europa den Angelsachsen zugutekommt, stimmt nur teilweise, in dem Maße, in dem atlantisch gesinnte Politiker in den wichtigsten europäischen Staaten „das Ruder führen“. Innere Transformationen europäischer Gesellschaften und sozialökonomischer Systeme werden das vorhandene politische Kräfteverhältnis nicht unbedingt freisetzen. Die Neigung zur strategischen Autonomie ist in Europa nach wie vor stark, national orientierte Parteien und Bewegungen genießen die zunehmende Popularität. Die praktische Herausforderung für Russland ist es, Europa die Formel der zukünftigen Kooperation anzubieten, die zum einen die Autonomiebestrebungen der Europäer unterstützt und zum anderen Garantie bieten würde, dass von dem europäischen Raum die Sicherheitsbedrohungen für unser Land in jedem Bereich (militärischen, wirtschaftlichen, technologischen, kulturell-humanitären) nicht ausgehen würden.

Die Zuspitzung der Widersprüche zwischen den größten Mächten konnte nicht umhin, auf die multilaterale Diplomatie einzuwirken. Es hat sich herausgestellt, dass falls es keinen Willen zum ehrlichen Dialog gibt, büßen die in den besten Jahren gebildeten Organisationen und Diskussionsklubs die Rolle der Verhandlungsplattformen schnell ein und verwandeln sich in den Schauplatz der propagandistischen Auseinandersetzungen. Eigentlich beschleunigt sich dieser Trend schon seit einigen Jahren. Die USA haben das Schlichtungsgremium der WTO blockiert, seit mehreren Jahren gelingt es nicht, die gemeinsame politische Deklaration der OSZE-Außenminister abzustimmen, es gibt auch andere Beispiele. Nach dem Beginn der speziellen Militäroperation haben westliche Vertreter den Vorsatz gefasst, Russland von der Beteiligung in den globalen und regionalen Strukturen – von dem UN-Rat für Menschenrechte und Weltorganisation für Tourismus bis zum Rat baltischer Staaten loszureißen. Über die skandalöse Situation im internationalen Sport, die den „Allwettersinn“ der olympischen Bewegung verunstaltet, ist gar nicht zu sprechen.

Auf die Untergrabung der koordinierenden UNO-Rolle zielt das Konzept der „regelbasierten Ordnung“ mit seinen vielfältigen Partnerschaften, Koalitionen und „Apellen“ ab. Seine Funktionen wiederholen den Zuständigkeitsbereich der Facheinrichtungen und Institute der internationalen Organisation. Westliche Vertreter haben Exekutivstrukturen, UNO-Sekretariat, Büros der Sonderbotschafter und Sondervertreter des Generalsekretärs inklusive vereinnahmt. Das gilt sowohl für länderbezogene als auch für funktionale Strukturen, sie werden mit dem eigenen „bewährten“ Personal gefüllt. Das gilt für die Mechanismen, die nicht zur UNO gehören, etwa das Technische Sekretariat der Organisation für das Verbot chemischer Waffen.

Besonders bedauerlich: der Rost zehrt an dem „Allerheiligsten“ des UNO-Systems – dem Sicherheitsrat. Der Sinn des Vetorechts wird entwertet, das die Gründungsväter ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates mit einem einzigen Ziel zugeteilt haben: es sollte verhindern, dass die Interessen eines der Großmächte beeinträchtigt werden und somit der Welt die direkte Konfrontation zwischen ihnen erspart wird, was in der nuklearen Epoche katastrophale Folgen haben könnte. Eines der Symptome dieser Krankheit ist der Verzicht der „westlichen Drei“ mit Russland und China an der Umsetzung der Initiative zu arbeiten, das Gipfeltreffen der Führungspersonen der „fünf Mächte“ des UN-Sicherheitsrates einzuberufen, die der Präsident W.W.Putin im Januar 202 unterbreitet hat. Die Idee dieses Treffens zielt darauf ab, Berührungspunkte in den besonders explosiven Problemen der Gegenwart zu finden sowie die wichtigsten Grundsätze der internationalen Kommunikation neu zu bestätigen, vor allem den grundlegenden Grundsatz des Westfälischen Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten.

Einfache Rezepte für die Verbesserung der Situation sind hier nicht abzusehen. Offensichtlich werden mehr bewusste Anstrengungen und das Einbildungsvermögen für die Reformen der UNO gefragt. Der Sicherheitsrat benötigt die Demokratisierung, vor allem durch die Erweiterung der Vertretung afrikanischer, asiatischer und lateinamerikanischer Staaten. Es ist wohl an der Zeit, die Frage zu stellen, in wie weit die UNO-Agenda mit den Interessen der meisten Mitglieder der Weltgemeinschaft im Einklang steht. Für viele davon hat der Zugang zu den preiswerten Energieträgern (aber nicht der Übergang zu den „grünen“ Technologien), die sozialökonomische Entwicklung (aber nicht die Menschenrechte in ihrer ultraliberalen Interpretation), Sicherheit und souveräne Gleichheit (aber nicht das künstliche Aufzwingen der elektoralen Demokratie nach dem westlichen Muster) akute Bedeutung. Schließlich wird das Thema des Abschlusses des Dekolonisierungsprozesses und der Einstellung der neokolonialen Praktiken in der Erschließung der Naturressourcen der Entwicklungsländer durch die multinationalen Konzerne wieder aktuell.

Egal, wie sich das weitere Schicksal der UNO, WTO, IWF, der Weltbank, der G20 und anderer universellen Vereinigungen entwickelt wird (Russland spielte und spielt in ihnen die konstruktive Rolle) macht die loskuppelnde Politik des Westens die Formierung der neuen Infrastruktur internationaler Beziehungen im politischen, wirtschaftlichen Bereich, im Handel, Devisen- und Finanzbereich und im kulturell-humanitären Bereich sowie in der internationalen Sicherheit zum absoluten Imperativ. Diese Infrastruktur, wie die russischen Experten richtig feststellen, soll vor allem dem realen Inhalt der internationalen Politik entsprechen.12

Ihre wichtigste Eigenschaft soll neben der Inklusivität und der freiwilligen Beteiligung die Unangreifbarkeit vor dem äußeren Diktat, die Unabhängigkeit von den Launen unserer westlichen Kollegen sein. Nach ihren offen treubrüchigen Entscheidungen und Handlungen gegenüber Russland, ihren Bürgern und materiellen Aktiva können wir uns Luxus nicht leisten, über die Alternativen nicht nachzudenken. Das umso mehr, dass darüber auch viele unsere Freunde denken, die an das Wohlwollen und den Anstand des Westens nicht mehr glauben. Die Anstrengungen, die unabhängigen Konturen der globalen Verwaltung aufzubauen, begannen nicht heute – ein Beispiel dafür ist die Schaffung der BRICS. Aber heute wird dieser Prozess zweifellos eine mächtige Beschleunigung erfahren, darunter auch über SOC, die Erhöhung der Effizienz der Bewegung der Nichtpaktgebundenheit, die Entwicklung der Gruppe der Freunde für die Verteidigung der UNO-Charta und andere Formate.

Die Stütze auf die nationalen Interessen und das Völkerrecht setzt umfassende Einführung der Ideen, deren Lebenskraft sich in der Zeit bewährt hat, voraus. Solche wie das Konzept der Multipolarität auf der Grundlage der Kooperation im „Dreieck“ Russland-China-Indien, das E.M. Primakow bereits in den 1990er Jahren vorgeschlagen hat. Es wäre angebracht, darauf hinzuweisen, dass E.Primakow längst vor der Zuspitzung der Beziehungen mit dem Westen dafür plädiert hat, die Aufmerksamkeit für die östliche und südliche Richtung der russischen Diplomatie wesentlich zu erhöhen. Russland setzt diese grundsätzliche Orientierung aktiv in die Tat um und die heutige Abkühlung in den Beziehungen mit dem Westen zusätzliche Ressourcen für ihre Realisierung objektiv freisetzt.

Es entstehen neue Gründe dafür, dass zum führenden außenpolitischen Projekt Russlands die Initiative des Präsidenten W.W.Putin über die Formierung der Großen eurasischen Partnerschaft (GEP) gemacht wird. GEP kann man als den Rahmen betrachten, der für alle Länder und Vereinigungen des Kontinents in den Fragen der wirtschaftlichen Integration und der Sicherheit offensteht. Sein Mehrwert besteht in der harmonischen Verknüpfung der Integrationsprojekte, der nationalen Entwicklungsstrategien, der Produktions- und Logistikketten und der Transport- und Energiekorridore. Eben durch das Prisma des großen Eurasiens ist es möglich, zum Aufbau des neuen Modells der Beziehungen Russlands mit den europäischen Nachbaren in der nächsten historischen Etappe den Weg zu bahnen, dabei wird auf die natürlichen geografischen und sonstigen Vorteile dieser Partnerschaft Wert gelegt.

Die Loslösung von dem Westen, die in vieler Hinsicht gesünder macht, formiert die Voraussetzungen für die umfassendere Kooperation mit dem globalen Osten und Süden auch aus dem Grund, dass eben dort heute unsere meisten offenherzlichen Gleichgesinnten und Freunde sind. Das hat ihre durchdachte, ausgewogene Reaktion auf das russische Vorgehen zum Schutz der Bürger in Donbass, ihr deutlich ausgeprägter Verzicht gezeigt, der von der USA betriebenen antirussischen Koalition und den Sanktionen anzuschließen. Man darf allerdings nicht vergessen, dass die spezielle Militäroperation und alles damit Zusammenhängende gar nicht der wichtigste Punkt der nationalen und außenpolitischen Agenda der nichtwestlichen Welt ist. Von dort aus sehen die Entwicklungen in der Ukraine und um sie herum ganz anders aus als das „Bild“ in den Reportagen der engagierten westlichen und internationalen Massenmedien, in denen Russland für alle Sünden schuldig und für fast alle internationalen Probleme bedingungslos verantwortlich erklärt wird. Selbstverständlich wird die „Betonung“ Asiens, des Nahen Ostens, Afrikas und Lateinamerikas als prioritäre Schwerpunkte für die absehbare Perspektive in dem aktualisierten Konzept der russischen Außenpolitik qualitativ verstärkt.

 

Axiomatische Formel, dass Russland entweder stark sein kann oder es gar nicht existieren wird, bekommt deutliche Bestätigung. Sanktionen, militärischer, informatorischer und politischer Druck, Versuche, uns von den globalen Märkten und Technologien abzuschneiden sind nur in dem Maße effizient, wie wir uns im unfreundlichen Koordinatensystem befinden. Die Linie auf die Verstärkung der nationalen Souveränität, die in den letzten Jahren eingeschlagen wurde, erwies sich mit der Beteiligung Russlands an den globalen Prozessen zu den fremden Bedingungen oder als Mitglied der westzentrischen Strukturen (beispielsweise „G8“, die Moskau unwiderruflich 2014 verlassen hat) als unvereinbar. Souveränisierung aller Bereiche der Lebenstätigkeit, des ideologischen Bereichs, politischen Systems, der Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, der Finanzen und andere inklusive und die Offenheit für die breiteste gleichberechtigte internationale Kooperation zur gegenseitigen Bereicherung kann die nachhaltige Entwicklung Russlands und den ehrwürdigen Platz unseres Landes in der multipolaren Weltordnung garantieren. Die Entwicklungen zwingen unter anderem, die Kategorien unserer außenpolitischen Philosophie zu „nationalisieren“, die von der westlichen „Denkschule“ übernommen wurden. Sind denn im inländischen Kontext und in der Praxis solche ideologisierten Konstrukts wie etwa „milde Gewalt“ und „öffentliche Diplomatie“ anwendbar oder wäre es doch richtig über die „humanitäre und Kulturpolitik“ sowie über „informatorische Begleitung der Außenpolitik“ zu sprechen?

Es ist an der Zeit für Russland zu sich selbst zurückzukehren. Man muss sich als historischer Kern der originellen Zivilisation, als die größte eurasische und europazifische Macht, als eines der stärksten geopolitischen Zentren der Welt bewusst zu werden.

Spezielle Militäroperation gibt für solche Selbstbestimmung breite Möglichkeiten. Russen, Tschetschenen, Avaren, Tataren, Jakuten, Tuwiner und Vertreter anderer indigener Völker in der multinationalen und multikonfessionellen russischen Armee widerstehen den Formationen des Kiewer Marionettenregimes, das auf den unvermögenden Radikalnationalismus und vorbehaltlose, entwürdigende Unterwürfigkeit unter die ausländischen Herren gesetzt hat. Alte historische Feinde Kosaken und Tschetschenen, die Lissitschansk befreit haben, nennen sich Waffenbrüder und der tschetschenische Kommandeur wird mit dem Kosakenkreuz ausgezeichnet. Hier gibt es Anlass zum Nachdenken. In den Vordergrund tritt, dass die Entscheidung für zwischennationale Einheit und traditionelle Werte die schaffende Energie freisetzt und naturwidrige Stütze auf die gefälschte Vergangenheit und illusorische Zukunft kann nicht umhin, zu der inneren Unsicherheit und Aggression gegenüber Andersdenkenden zu führen.

Der Rückgriff zu sich selbst ist sicherlich ohne durchdachte ideologische Mobilmachung des Staates und der Gesellschaft unmöglich, das ist auch die unentbehrliche Voraussetzung für die ergebnisreiche Außenpolitik nach dem Ausreißen aus allen Formen der Abhängigkeit von dem Westen. Darauf weist auch der Zugriff zu den Werken prominenter russischer Wissenschaftler, die die Fragen gedanklich vorgegriffen haben, die die heutige historische Etappe gestellt hat. Die Eigentümlichkeit der russischen Zivilisation wird als „vollkommen spezifischer nationaler staatlicher und kultureller Komplex definiert, der sich im gleichen Maße sowohl von Europa wie auch von Asien unterscheidet“, hat I.L. Solonewitsch13 1951 geschrieben. „Eine besondere ethnozivilisatorische Plattform“ nannte unser Land W.L. Zymburski14 1993. Die Stellung Europas als äußerste westliche Endung des eurasischen Kontinents stellte 2003 A.A. Sinowiew fest: „Jener wohlsituierter Westen an den in Russland geträumt wird, ist nur eine kleine Insel im Ozean von Dreck und Leid“.15

Die Geschichte hat Russland als Kraft auserwählt, das mit seiner Hartnäckigkeit und Konsequenz in seinem Streben zur Wahrheit und Gerechtigkeit für alle den Übergang zur neuen Weltordnung beschleunigen wird. Von unserem Vermögen, die einende Rolle zu spielen und das interzivilisatorische „Netz“ prioritärer Partner im Horizont des nächsten Jahrzehnts aufzubauen, werden nicht nur außenpolitische Positionen Russlands sondern auch die Stabilität des gesamten Systems internationaler Beziehungen abhängen.

 

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  11. Тренин Д.В. Решительно порвала с Западом //URL: https://russiancouncil.ru/analytics-and-comments/comments/reshitelno-porvala-s-zapadom/?sphrase_id=92662124 (Anrufung am: 28.07.2022).
  12. Бордачев Т.В. ООН – реформа или упразднение? // URL: https://globalaffairs.ru/articles/oon-reforma-ili-uprazdnenie/ (Anrufung am: 27.07.2022).
  13. Солоневич И.Л. Народная монархия / Отв. ред. О. Платонов. М.: Институт русской цивилизации, 2010. C. 27.
  14. Цымбурский В.Л. Остров Россия // URL: http://www.intelros.ru/subject/figures/1072-vadim_cymburskijj_ostrov_rossija.html (Anrufung am: 28.07.2022).
  15. Зиновьев А.А. Я хочу рассказать вам о Западе // URL: http://zinoviev.info/wps/archives/73 (Anrufung am: 28.07.2022).

 

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